10 Jahre GATE

Geschichte von GATE (verfasst anlässlich des 10jährigen Bestehens im Jahr 2005)

10 Jahre GATE e.V.

Der Verein GATE e.V. entstand vor zehn Jahren (1995) aus einer hauptsächlich studentischen Initiative. Die meisten Gründungsmitglieder hatten bereits Erfahrung im Bereich Tourismus. Diese waren entweder beruflicher Art, z.B. als Reiseleiter oder Reiseverkehrskauffrau oder beruhten auf einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema in einer Magister- oder Doktorarbeit.

Wir alle waren vertraut mit den tourismuskritischen Strömungen, die sich bereits seit Ende der 70er Jahre vor allem mit den ökologischen Folgen des Tourismus beschäftigten. Zwar wurde auch Kritik an den sozio-kulturellen Folgen laut. Die ethnologische Fachdebatte diesbezüglich verlief aber eher unproduktiv, da man sich dem Thema vornehmlich kritisch-emotional denn wissenschaftlich näherte.

So überwog z.B. bei vielen Wissenschaftlern die Angst vor Veränderung durch den einsetzenden Massentourismus in klassischen ethnologischen Feldforschungsgebieten, wodurch sich das wissenschaftliche Interesse, sich mit dem Phänomen Tourismus zu befassen, in Grenzen hielt.

Anders verlief die wissenschaftliche Entwicklung im Fach Ethnologie in den USA, England und Frankreich, wo man sich bereits seit den 1960er/1970er Jahren kreativ mit dem Thema auseinander setzte. In Deutschland waren bis dahin wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Tourismus Einzelleistungen, die in keinem Zusammenhang mit einer Forschungstradition standen.

Mit der Gründung von GATE verfolgten wir darum zwei Absichten: Zum einen, Tourismus als Forschungsgegenstand in der deutschsprachigen Ethnologie zu etablieren und zum anderen, ethnologisches Wissen, ethnologische Methodik und ethnologische Ethik in die Tourismusbranche einzubringen. Langfristiges Ziel dabei war es natürlich auch, das touristische Berufsfeld für Ethnologen zu erschließen. Berufsfelder sahen wir dabei vor allem in touristischen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit, in der touristischen Bildungsarbeit und in Berufen der Tourismusbranche selbst ist immer noch ein weißer Fleck auf der Landkarte.

Beide Felder, „Ethnologie und touristische Praxis“ und „Tourismusforschung in der Ethnologie“ können nicht ohne einander auskommen und müssen sich ständig gegenseitig bereichern. GATE hat sich an der Schnittstelle der beiden Gebiete etabliert. Zu unseren wichtigsten Projekten gehörten von Beginn an die Sensibilisierung für das Thema Tourismus im Fach selbst, u.a. durch Fachvorträge und -seminare an Universitäten, sowie Öffentlichkeitsarbeit für das Fach, z.B. in Form von Präsentationen und Vorträgen auf Reisemessen wie der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin2.

Für seine Arbeit ist GATE angewiesen auf neue, für das Thema Tourismus relevante Forschungsergebnisse der deutschsprachigen Ethnologie. Dass sich das Thema Tourismus hier noch immer nicht durchgesetzt hat, erkennt man leicht, wenn man den Aufsatz von Hans Fischer aus dem Jahre 1982 liest: Die von ihm skizzierten Probleme sind die gleichen geblieben – der Aufsatz könnte von heute sein (vgl. Fischer 1982). Die Gründe dafür sind einfach herzuleiten: Zum ersten ist die Tourismusforschung bis heute noch immer die Sache Einzelner und einzelner Fachbereiche. Darüber hinaus kommen wesentliche Impulse der Tourismusforschung weiterhin aus dem Ausland und aus anderen Disziplinen, die sich dem Tourismus als Forschungsthema angenommen haben, wie z.B. aus der Volkskunde, Soziologie, Psychologie, Betriebswirtschaftslehre und aus den Tourismuswissenschaften. Wie in anderen anwendungsbezogenen Forschungsgebieten ist es auch im Falle Tourismus der deutschsprachigen Ethnologie bislang nicht gelungen, einen kreativen Umgang mit dem Thema zu pflegen. Wenn überhaupt, dann setzt sich die jüngere Generation in Magister- und Doktorarbeiten mit dem Thema auseinander.

In vielen anderen Publikationen ist Tourismus oft nur deshalb Bestandteil, weil er in den Forschungsgebieten einfach nicht mehr übersehen werden kann. Das alles hat auch zur Folge, dass sich die Tourismusforschung in Deutschland noch nicht entsprechend institutionalisiert hat. In der gemeinsamen Interessenvertretung der deutschen Ethnologie, der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde (DGV), existiert keine entsprechende Arbeitsgruppe und an den Universitäten gibt es nur vereinzelte Projekte, bei denen Tourismus als Forschungsgegenstand im Zentrum steht. Ein weiteres Hemmnis sind die Lehrenden des Faches Ethnologie, die den Bezug zum Thema Tourismus noch immer zu wenig suchen. Trotz steigender Absolventenzahlen, die vorhersehbar nicht alle im wissenschaftlichen Bereich tätig werden können, gibt es von Seiten der Lehrenden wenig Interesse, anwendungsbezogene Forschungsfelder wie das Thema Tourismus zu erschließen. So ist es auch zu erklären, dass die zumeist studentischen Initiativen, die sich wie GATE im Bereich Tourismus engagieren, wenig Unterstützung erhalten

Im Rückblick auf die letzten zehn Jahre GATE e.V. wäre Resignation dennoch unangebracht. Denn der vermeintliche weiße Fleck, den die Tourismusforschung in der deutschen Ethnologie darstellt, wird – wenn auch sehr langsam – kleiner. So ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema sehr viel differenzierter geworden, auch wenn die wesentlichen Impulse noch immer aus dem Ausland kommen.

Das Angebot an Seminaren zum Thema Tourismus an den deutschsprachigen Fachbereichen hat sich enorm erweitert. Vereinzelt gibt es inzwischen Tourismus-Forschungsprojekte. Auch ist das Interesse am Fach von außen gestiegen. So greifen andere Fächer, die sich mit dem Themenkomplex Tourismus befassen, vermehrt auf vorhandene ethnologische Forschungsergebnisse zurück.

Und wie sieht es mit der Praxis aus?

GATE e.V. ist das Tor, um „fremde“ Kulturen besser verstehen zu lernen. Diesem Anspruch versuchen wir gerecht zu werden: sowohl gegenüber denjenigen, die reisen, als auch gegenüber denjenigen, die sich professionell (theoretisch oder praktisch) mit Tourismus auseinandersetzen.

Im Fokus unserer Bemühungen stehen hierbei die Tourismuswirtschaft, die Entwicklungszusammenarbeit, die Bildungsarbeit und nicht zuletzt die Reisenden selbst. Wir haben bei unserer Arbeit im vergangenen Jahrzehnt immer wieder feststellen müssen, dass der Begriff „Tourist“ gerne pauschal mit denjenigen gleichgesetzt wird, die vornehmlich zum Zweck der Erholung reisen. Sie gelten für viele als die Hauptverursacher von sozio-kulturellen (und weiteren) Problemen in den touristischen Zielgebieten, die in der tourismuskritischen Debatte seit nunmehr rund 30 Jahren diskutiert und angeprangert werden.

Beispiele für den unmittelbaren Beitrag von Erholungssuchenden zu negativen Auswirkungen in den Destinationen (z.B. Akkulturationseffekte) gibt es zahlreich und können nicht verleugnet werden. Aber dies ist eben nur die eine Seite der Medaille. Denn wir alle reisen – unabhängig von unseren Reisemotiven – in ferne und für uns fremde Länder mit derselben Hoffnung, ja der Erwartung, dass wir von der einheimischen (= „bereisten”) Bevölkerung als Gast empfangen und behandelt werden. Wir alle haben den Anspruch, auch (oder vielleicht gerade) fern der Heimat bestimmten persönlichen Bedürfnissen nachzugehen, für die wir ein gewisses Maß an Respekt, Freiheit, Toleranz und Abstand von Seiten der einheimischen Bevölkerung voraussetzen. Wir alle möchten auch etwas mitnehmen von unserer Reise, sei es die Erinnerung an einen schönen Urlaub, sei es ein konkretes Ergebnis aus einer ethnologischen Feldforschung, oder sei es die Gewissheit, ein (zumal touristisches) Entwicklungsprojekt erfolgreich mitgestaltet zu haben.

Diejenigen, die glauben, sich von den Erholungssuchenden abgrenzen zu können, da sie (scheinbar) nicht Teil des Problems sind, verkennen, dass ein „professionelles“ Reisemotiv (z.B. eine ethnologische Feldforschung, der Einsatz als Entwicklungshelfer oder als Reiseleiter) weder automatisch interkulturelle Kompetenz verleiht noch automatisch dazu legitimiert, sich als etwas anderes (oder gar besseres) zu sehen als das, was wir alle auf Reisen sind: nämlich Touristen!

So legitim auf der einen Seite die Ansprüche und Bedürfnisse der Reisenden sind, so legitim ist auf der anderen Seite die Erwartung der einheimischen Bevölkerung, dass der Gast – unabhängig von seinem Reisemotiv – ihre Sprache, Kultur, Gebräuche und Traditionen respektiert und sich damit auseinander setzt. Nur wenn beide Seiten ernst genommen werden, lässt sich der Anspruch eines verbesserten interkulturellen Dialogs sowie von mehr Sozialverträglichkeit im Tourismus erreichen und können touristische Produkte entwickelt werden, die sowohl diesem Anspruch gerecht werden als auch realistische Marktchancen bieten. Wir alle können Katalysatoren dieses Prozesses, aber eben auch Teil des Problems sein. Es kommt darauf an, ein gegenseitiges Bewusstsein für die Erfordernisse im Umgang mit unterschiedlichen Werte- und Normenvorstellungen und deren relativer Gültigkeit zu schaffen sowie Wege für die Praxis aufzuzeigen.

Dies gilt nicht nur für das unmittelbare Zusammentreffen von Erholungssuchenden mit der einheimischen Bevölkerung sowie touristischen Anbietern vor Ort, sondern betrifft auch diejenigen, die in der Tourismuswirtschaft arbeiten (sei es als Reiseveranstalter, Reisebüro, Incoming-Agentur, Hotelier, Gastronom, Reiseleiter oder in sonstigen Bereichen), sowie diejenigen, die in der Entwicklungszusammenarbeit oder entwicklungspolitischen Bildungsarbeit beschäftigt sind (sei es vor Ort oder in Deutschland, sei es im Tourismus selbst oder auch in anderen Themenfeldern) und nicht zuletzt betrifft es die Ethnologen selbst (sei es bei Tätigkeiten vor Ort oder in Deutschland, sei es im Bereich der ethnologischen Tourismuslehre oder im Bereich der ethnologischen Tourismusforschung).

Ausblick

Seit Beginn unserer Aktivitäten setzen wir uns dafür ein, dem Themenkomplex „Ethnologie und Tourismus“ innerhalb und außerhalb des Fachs eine Öffentlichkeit zu verschaffen. Die Tatsache, dass auf der Konferenz neben Ethnologen auch zahlreiche Reiseveranstalter, Entwicklungs- und Bildungsexperten teilgenommen haben, zeigt das Interesse der Praxis, sich mit ethnologischen Herangehensweisen im Tourismus auseinander zu setzen. Daher werden wir auch in Zukunft daran arbeiten, dass die Tourismuslehre und -forschung ein Teil der Ethnologie wird und daran, ethnologische Erkenntnisse in der Tourismusbranche, Entwicklungszusammenarbeit und Bildungsarbeit zu etablieren.